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Quo vadis Düsseldorfer Tabelle?

 

Wer die Düsseldorfer Tabelle (DT) aufmerksam liest, hat zum 01.01.2021 festgestellt, dass für Einkünfte ab 5.501 € nicht mehr die Anmerkung „nach Umständen des Falles“ zu lesen ist, sondern auf den Beschluss des BGH vom 16.09.2020, Az. XII ZB 499/19, verwiesen wird.

 

Der BGH hat unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung eine Fortschreibung der Bedarfsbeträge bis zur Höhe des Doppelten der in der DT ausgewiesenen Einkommensbeträge nicht ausgeschlossen. Das heißt letztendlich, dass die DT fortzuschreiben ist über die 10. Einkommensgruppe hinaus bis hin zu einem Einkommen in Höhe von netto 11.000 € monatlich. Dies ist auch der Schwellenbetrag, den der BGH ansetzt für die Geltendmachung eines sogenannten Quotenunterhaltes im Ehegattenunterhalt, d. h. bis zu einem Nettoeinkommen von 11.000 € wird angenommen, dass dieses Geld auch für den Familienunterhalt verbraucht wurde und daher auch im Unterhaltsrecht zur Bemessung eines Unterhalts heranzuziehen ist (Gegenteiliges müsste der Unterhaltsschuldner beweisen). Erst ab Einkünften über 11.000 € greift die sogenannte konkrete Darlegung des Bedarfs.

 

Der BGH hat dies nunmehr auch für den Kindesunterhalt als geboten angesehen, sodass zu erwarten steht, dass neben der „üblichen“ Erhöhung der Unterhaltssätze der DT zum 01.01.2022 auch eine Fortschreibung der DT bis zu einem Nettoeinkommen von 11.000 € erfolgt.

 

Soweit bislang ab 5.500 € Einkommen des Unterhaltspflichtigen das unterhaltsberechtigte Kind darlegen und nachweisen musste, dass es einen höheren Bedarf als den Höchstsatz der DT hat (Umstände des Falles), so wird zukünftig die DT von 5.501 € bis 11.000 € fortgeschrieben werden, mit der Folge, dass bis 11.000 € der Unterhaltsberechtigte seinen Bedarf nicht konkret darlegen und beweisen muss, sondern dann erst wieder ab 11.001 € netto.

 

Wie diese Rechtsprechung des BGH sich in den Tabellenwerken der Oberlandesgerichte wiederspiegeln wird, ist noch nicht bekannt, bislang gibt es letztendlich 2 „Vorschläge“ von renommierten Unterhaltsrechtlern, wie zukünftig ein Grundgerüst der DT aussehen könnte:

 

  • Helmut Borth, Präsident des AmtsG a. D., hat bereits in FamRZ 2021, Seite 339 ff., eine neue Struktur der DT vorgestellt. Diese geht von weiteren 10 Einkommensstufen aus, fortgeschrieben dann von 160 % des Mindestunterhaltes bis zu 240 % des Mindestunterhaltes. Diesen Vorschlag unterstützen Rubenbauer/Dose in NZFam 2021, Seite 661 ff.. Insoweit ist anzumerken, dass es sich bei Dose um den Vorsitzenden des XII. Senats des BGH (Familiensenat) handelt.

 

  • Die Unterhaltskommission des Deutschen Familiengerichtstages e. V. (Berichterstatter Birgit Niepmann, Mathias Denkhaus, Heinrich Schürmann) haben eine Fortschreibung in nur weiteren 5 Einkommensgruppen vorgeschlagen, bis zu einem Maximalbetrag von 200 % des Mindestunterhaltes bei einem Einkommen bis 11.000 € (FamRZ 2021, Seite 924 ff.). Zudem wird dafür plädiert, dass der Sockelbetrag (100 % des Mindestunterhaltes) zum 01.01.2022 nicht erneut angehoben wird, auf der anderen Seite man über die Erhöhung der Selbstbehaltssätze nachzudenken hat. Auch die Erhöhung des Festbetrages für auswärtig lebende volljährige Kinder von bislang 860 € ist zu überdenken, etwa dahingehend, dass bei guten Einkommensverhältnissen der Eltern auch die Geltendmachung des Tabellenunterhaltes möglich ist. Diesem Vorschlag, den Höchstsatz auf 200 % des Mindestunterhaltes zu beschränken, schließt sich Born, NZFam 2021, Seite 709 ff. uneingeschränkt an.

 

Entscheidend ist bei der Höhe des Kindesunterhaltes, woraus sich dieser herleitet. Da minderjährige Kinder bis zum Abschluss einer Ausbildung noch keine eigene Lebensstellung haben, sondern diese von ihren Eltern ableiten, stellt sich die Frage, bis zu welchem Einkommen der Eltern (Unterhaltspflichtigen) ohne konkrete Darlegung des Bedarfs Tabellenbeträge herangezogen werden dürfen/können. Wie oben erwähnt, hat der BGH mit seiner Entscheidung vom 16.09.2020, Az. XII ZB 499/19, eine Fortschreibung der Tabellensätze bis zu einem Nettoeinkommen von 11.000 € befürwortet. Insoweit lehnt sich der BGH an seine Rechtsprechung zum Ehegattenunterhalt an, wonach eine Vermutung bestünde, dass bis zu 11.000 € auch ein Verbrauch des Einkommens stattfindet und somit Kinder ebenso an der Lebensstellung ihrer Eltern teilhaben. Inwieweit dann ggf. der Unterhaltspflichtige konkret darlegen und beweisen kann, dass er sein Einkommen nicht vollständig verbraucht, bleibt derzeit offen. Folgende Gesichtspunkte sich entscheidend:

 

  • Die Teilhabe an der Lebensführung gilt auch für Kinder von Eltern, die in besonders günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen leben.
  • Eine Gewöhnung des Kindes an diese Verhältnisse ist nicht erforderlich, Kinder profitieren auch vom Splittingvorteil des Unterhaltspflichtigen aus einer neuen Ehe oder auch an einem Karrieresprung.
  • Eine Teilhabe am Luxus soll nicht stattfinden.

 

Dass man zwischen diesen unterschiedlichen Zielvorstellungen einen Spagat machen muss, liegt auf der Hand. Die Gefahr eines „Luxusniveaus“ bei Fortschreibung der Tabelle wird vom BGH verneint unter Hinweis auf die Orientierung des Steigerungssatzes am Mindestunterhalt und der Verminderung (degressive Verringerung) der Beteiligungsquote des Kindes am Elterneinkommen mit der Folge einer nur moderaten Steigerung des Unterhalts. Dies auch die Argumentation von Borth/Dr. Rubenbauer/Dose für eine Forstschreibung der Tabelle bis zu 240 % des Mindestunterhaltes. Bis dahin soll der Grundsatz „keine Teilhabe am Luxus“ gewahrt sein.

 

Die Unterhaltskommission/Born gehen auch bei einem Einkommen bis 11.000 € davon aus, dass bis maximal 200 % des Mindestunterhaltes eine Erweiterung der DT ausreichend ist, bezweifeln sogar die sachliche Notwendigkeit, die DT bis 11.000 € fortzuschreiben, nachdem bei Einkommensverhältnissen über 5.500 € netto es sich nur um ein kleines „Premiumsegment“ handelt. Trotzdem wird auch hier jedoch begrenzt auf 200 % des Mindestunterhaltes eine Fortschreibung errechnet. Die Unterhaltskommission denkt jedoch sogar weiter und plädiert, den notwendigen Selbstbehalt auf 1.230 € für Erwerbstätige und auf 1.000 € für Nichterwerbstätige anzuheben. Ebenso wird angeregt, die in den Selbstbehaltssätzen enthaltenen Wohnkosten um zumindest 20 € zu erhöhen. Es wird berechtigterweise darauf hingewiesen, dass allein der Mindestunterhalt im Zeitraum von 2008 bis 2021 um insgesamt 40 % gestiegen ist. Hintergrund war natürlich die Neubewertung der Regelbedarfssätze, trotzdem wird wohl berechtigterweise dafür plädiert, den Mindestunterhalt für die DT 2022 nicht zu erhöhen.

 

Nach diesseitiger Auffassung sind die deutlich differenzierteren Begründungen der Unterhaltskommission des Deutschen Familiengerichtstages e. V. nachvollziehbar und letztendlich der „moderaten“ Steigerung der Unterhaltssätze bei einem Einkommen zwischen 5.500 € bis 11.000 € zuzustimmen. Die Unterhaltskommission plädiert weiterhin in ihrem Thesenpapier dafür, dass der Erwerbstätigenbonus einheitlich mit 1/10 bemessen wird (entsprechend Süddeutscher Leitlinien), dies auf der Grundlage der Entscheidung des BGH, FamRZ 2020, Seite 171. Der zuletzt genannte Punkt hat jetzt mit den Tabellensätzen der DT nichts zu tun, wird jedoch zur Vervollständigung des Inhalts des Thesenpapiers des Deutschen Familiengerichtstags e. V. ergänzend erwähnt.

 

Im Anhang die Tabellenwerke bis 240 % (Borth/Dr. Rubenbauer/Dose) bzw. bis 200 % (Unterhaltskommission/Born) bezogen auf die derzeitigen Unterhaltsbeträge. Wie letztendlich die DT und deren Tabellenwerk zum 01.01.2022 aussehen wird, kann bei Drucklegung nicht vorausgesagt werden, ob mit Erscheinen des Reports da schon nähere Erkenntnisse vorliegen, ist nicht vorauszusagen. Fest steht jedoch wohl, dass bei Einkommensbeträgen des Unterhaltspflichtigen über 5.500 € netto eine Tabellenfortschreibung erfolgen wird und somit in diesem Einkommensbereich höhere Unterhaltsbeträge gefordert werden als bislang bei der „Deckelung“ mit 160 % des Mindestunterhaltes.

 

Borth/Dr. Rubenbauer/Dose

 

Nettoeinkommen des Barunter­haltspflichtigen (Anm. 3, 4)

Altersstufen in Jahren

§ 1612a Abs. 1 BGB)

Prozent­satz Bedarfs­kontrollbetrag (Anm. 6)
  0 – 5 6 – 11 12 – 17 ab 18    
Alle Beträge in Euro
1. bis 1.900 393 451 528 564 100 960/1160
2. 1.901 – 2.300 413 474 555 593 105 1.400
3. 2.301 – 2.700 433 497 581 621 110 1.500
4. 2.701 – 3.100 452 519 608 649 115 1.600
5. 3.101 – 3.500 472 542 634 677 120 1.700
6. 3.501 – 3.900 504 578 676 722 128 1.800
7. 3.901 – 4.300 535 614 719 768 136 1.900
8. 4.301 – 4.700 566 650 761 813 144 2.000
9. 4.701 – 5.100 598 686 803 858 152 2.100
10. 5.101 – 5.500 629 722 845 903 160 2.200
11. 5.501 – 6.050 661 758 888 948 168 2.450
12. 6.051 – 6.600 692 794 930 993 176 2.700
13. 6.601 – 7.150 724 830 972 1.038 184 2.950
14. 7.151 – 7.700 755 866 1014 1.083 192 3.200
15. 7.701 – 8.250 786 902 1.056 1.128 200 3.450
16. 8.251 – 8.800 818 939 1.099 1.174 208 3.700
17. 8.801 – 9.350 849 975 1.141 1.219 216 3.950
18. 9.351 – 9.900 881 1.011 1.183 1.264 224 4.200
19. 9.901 – 10.450 912 1.047 1.225 1.309 232 4.450
20. 10.451 – 11.000 944 1.083 1.268 1.354 240 4.700
                ab 11.001 nach den Umständen des Falles

 

 

Unterhaltskommission/Born

 

Nettoeinkommen des Barunter­haltspflichtigen (Anm. 3, 4)

Altersstufen in Jahren

§ 1612a Abs. 1 BGB)

Prozent­satz Bedarfs­kontrollbetrag (Anm. 6)
  0 – 5 6 – 11 12 – 17 ab 18    
Alle Beträge in Euro
1. bis 1.900 393 451 528 564 100 960/1160
2. 1.901 – 2.300 413 474 555 593 105 1.400
3. 2.301 – 2.700 433 497 581 621 110 1.500
4. 2.701 – 3.100 452 519 608 649 115 1.600
5. 3.101 – 3.500 472 542 634 677 120 1.700
6. 3.501 – 3.900 504 578 676 722 128 1.800
7. 3.901 – 4.300 535 614 719 768 136 1.900
8. 4.301 – 4.700 566 650 761 813 144 2.000
9. 4.701 – 5.100 598 686 803 858 152 2.100
10. 5.101 – 5.600 629 722 845 903 160 2.200
11. 5.601 – 6.200 661 758 888 948 168 2.450
12. 6.201 – 7.000 692 794 930 993 176 2.700
13. 7.001 – 8.000 724 830 972 1.038 184 2.950
14. 8.001 – 9.500 755 866 1014 1.083 192 3.200
15. 9.501 – 11.000 786 902 1.056 1.128 200 3.450
                ab 11.001 nach den Umständen des Falles

 

 

Mit Spannung wird der Veröffentlichung der DT, Stand 01.01.2022, entgegengesehen.